Wenn ein digitaler Sturm aufzieht: Über Hass-kommentare und Shitstorms im Netz

von Franziska, Ina, Silja, Helena, Kaya und Tim

Du bist hässlich!“, „Du wärst auch kein großer Verlust für die Gesellschaft!“, „Ich hoffe du stirbst!“. Mit solchen Äußerungen, die im realen Leben undenkbar erscheinen, werden Personen des öffentlichen Lebens in den sozialen Medien tagtäglich konfrontiert. Wie sich das Zielobjekt ihres Hasses aufgrund dieser Kommentare fühlt, scheint den Hater*innen herzlich egal zu sein. Ein falsches Wort, ein Fehltritt und schon kann eine Lawine der Feindseligkeit ins Rollen geraten, die die Personen des öffentlichen Lebens unter sich begräbt. Doch wie soll damit umgegangen werden, wenn einem im Netz eine Welle an Hass entgegenschlägt?

Ein sogenannter Shitstorm stellt einen regelrechten Sturm der Entrüstung und Abwertung einer Einzelperson oder einer Gruppe dar, der sich im virtuellen Raum, in den sozialen Medien und deren Kommentarbereichen ereignet. Da die Nutzer*innen größtenteils auf anonymen Wege Kritik äußern und sich gegenseitig hochschaukeln, kann ein Shitstorm gesellschaftliche Toleranzgrenzen überschreiten und in eine Form des Cybermobbings ausarten. Verursacher*innen und Teilhabende eines Shitstorms bedienen sich häufig polemischer Äußerungen, die in beleidigende oder verletzende Kommentare übergehen, schlimmstenfalls in Morddrohungen enden können. Ein Shitstorm entsteht durch den Moralismus der Informationsgesellschaft und durch die Wut der Plattformnutzer*innen. Im Netz gilt diese lawinenartige Äußerung negativer Kritik als zentrales Mittel der Gegenwehr und des Angriffs.

Woher kommt der Begriff Shitstorm eigentlich?
Sein Debüt feierte der Begriff 1948 im Roman „The Naked and the Dead“ von Norman Mailers, der den 2. Weltkrieg thematisiert. Dort beschrieben amerikanische Soldaten plötzliche lebensgefährliche Situationen während Gefechten als einen Shitstorm. Dieser Kontext ging im Laufe der Zeit verloren.

Boris Palmer im Auge des Sturms

Weltall-Aufnahme vom Auge eines Sturms.
Wie ein Taifun kann auch ein Shitstorm das Leben einer Person zerstören. Bild: Unsplash

Auch bekannte Persönlichkeiten Tübingens mussten bereits Erfahrungen mit Hass in virtuellen Räumen machen. So erntete Oberbürgermeister Boris Palmer während seiner politischen Laufbahn nicht nur einen Shitstorm. Die wohl größte Wutwelle schlug ihm im Frühjahr 2023 entgegen, nachdem er auf einer Konferenz an der Goethe-Universität Frankfurt zum Thema Migration mehrfach auf offener Bühne das N-Wort benutzt hatte. Bereits 2021 hatte Palmer dies in einem Tweet verwendet, den er später als Satire verteidigte. Die Konsequenz dieses Beitrags war ein Austritt bei den Grünen bis Ende 2023. Palmer ist damit die wohl bundesweit umstrittenste Persönlichkeit in Tübingen, aber scheint dennoch ein gewisses Ansehen zu genießen. Sein Antritt bei der Oberbürgermeisterwahl im Oktober 2022 war auch parteiunabhängig erfolgreich. Mit der erneuten Provokation scheint klar: Palmer sucht regelrecht die Kontroverse. Jedoch hat auch er mit der negativen Resonanz zu kämpfen. Er legte eine einmonatige politische Pause ein und machte in Markus Lanz‘ Talkshow deutlich, dass der erneute heftige Shitstorm für ihn sehr belastend war.

Mach’s besser: Einen Shitstorm verhindern

Um besser auf einen Shitstorm vorbereitet zu sein oder diesen im besten Fall direkt abzuwenden, gibt es einige präventive Maßnahmen, die sich in der Praxis häufig als nützlich erweisen. In Bezug auf Konzerne zählt dazu beispielsweiße der Aufbau einer glaubwürdigen Unternehmensidentität. Durch die digitalen Medien entsteht heutzutage eine Transparenz, die Unternehmen dazu zwingt, ihre Methoden offen darzulegen. Je eher ein Unternehmen oder eine Einzelperson tatsächlich geäußerte Versprechen umsetzt, desto besser lassen sich unangenehme Überraschungen und Hass-Wellen vermeiden. Genauso wichtig ist auch die interne und externe Kommunikation. Je genauer Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Partner*innen informiert werden, desto höher ist auch die Chance, dass man in Krisenzeiten mit Unterstützung rechnen kann. Auch eine gute Vorbereitung, Sensibilisierung für schwierige Themen und rechtzeitig schnelles Handeln kann maßgeblich dazu beitragen, einen Shitstorm zu vermeiden. Doch was ist zu tun, wenn der Shitstorm schon ins Rollen gekommen ist und die ersten negativen Kommentare in den Benachrichtigungen auftauchen?

Ruhe nach dem Sturm: Wie wird wieder Ordnung ins Chaos gebracht?

Weiße Wolken über dunklen Wolken
So wie sich die Wolken nach einem Sturm wieder lichten, kann auch ein Shitstorm bewältigt werden. Bild: Unsplash

Ein Allheilmittel gegen Shitstorms gibt es nicht. Dazu bilden das Internet und die sozialen Medien ein zu komplexes Gefüge. Hinter den meisten Hass-Kommentaren stehen immer noch private Individuen mit menschlichen Gedanken und Gefühlen, die sich schwer voraussagen lassen. Jedoch ist es bereits die halbe Miete, konstruktive Kritik ernst zu nehmen. Eine Entschuldigung, die von Herzen kommt, das eigene Verhalten selbstkritisch reflektiert und nicht aufgesetzt ist, kann leichte bis mittelstarke Wogen glätten. Ein tränenreiches „Apology-Video“ wirkt allerdings schnell durchschaubar. 

Der Umgang mit Shitstorms ist eine Gratwanderung. Doch mit etwas Fingerspitzengefühl, Einfühlvermögen und Verständnis für das eigene Publikum kann man Abhilfe schaffen. Und selbst im heftigsten Sturm gilt zu bedenken: So schnell wie sich das Internet auf ein Thema stürzt, verliert es oft auch wieder das Interesse daran. Was heute noch als das einzig Wichtige auf der Welt erscheint, gerät morgen möglicherweise schon wieder in Vergessenheit.

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