„Too Schrott To Handle?“: Warum wir so gerne Dating-Formate schauen

von Franziska, Emily, Kim und Silja 

Dating-Shows sind mit einer ganz besonderen Faszination behaftet. So gut wie jede*r schaut sie, oder hat zumindest mal „aus Spaß“ reingeklickt. Aber was ziehen wir eigentlich aus dem, was wir als „Trash-TV“ bezeichnen und hat es seinen Ruf als medialer Müll überhaupt verdient?

Es ist Freitagabend. Draußen ist es kalt und ungemütlich. Ich schließe die Wohnungstür auf, lege meine nassen Sachen ab und mache es mir auf der Couch bequem. Mit der Fernbedienung in der Hand beginne ich durch Netflix zu stöbern. Unter der Kategorie „Leichte Unterhaltung“ finde ich sie, die Sendung „Too Hot To Handle: Germany“. An diesem Abend bin ich auf meiner Couch damit allein, aber statistisch gesehen bin ich einer von 4,77 Millionen Menschen, die diese Sendung gesehen haben.1 Ich scheine offensichtlich nicht die Eeinzige mit diesem „guilty pleasure“ zu sein, aber woran liegt das und wieso ist dieser Genuss überhaupt „guilty“?

„Guilty pleasure“ beschreibt das Konzept, etwas gerne zu konsumieren und zu genießen, wobei man sich gleichzeitig bewusst ist, den eigenen moralischen und gesellschaftlichen Ansprüchen zuwider zu handeln.

Ein wissenschaftliches Konzept, das sich mit diesem Phänomen beschäftigt, ist der Users-and-Gratifactions-Ansatz. Laut diesem konsumieren wir Medien stets mit einem „Nutzenkalkül“. Was klingt wie ein ziemlich sperriges Wort, meint eigentlich nur, dass wir gewisse Bedürfnisse bewusst durch Medien zu stillen versuchen. Welche Intentionen und Motivationen stecken hinter unserem Trash-TV-Konsum?

Ein verführerischer Mix aus Drama und Intrige

Dating-Shows setzen bewusst auf provokante Elemente und dramatische Inszenierungen. Dabei liegt ihr Fokus auf der Skandalisierung von Rivalitäten und Konfliktsituationen zwischen den Teilnehmer*:innen. Durch diese emotionsgeladene Zuspitzung gehen die Formate der Sensationslust des Publikums nach. Auch in unserem Alltag folgen wir derartiger Übertreibung, indem wir persönliche Geschichten dramatisieren. Angezogen von sensationellen Enthüllungen, Liebesdramen und unerwarteten Wendungen, begeben sich die Zuschauer*:innen in eine andere, meist unterhaltsame Welt des Reality-TVs. In etlichen Formaten wie „Bachelor“, „Love Island“ oder „Are You The One“ dienen die extremen, scheinbar realen Emotionen dazu, den Zuschauer*:innen eine Nahbarkeit des Geschehens zu vermitteln. Die Sexualisierung von Teilnehmer*:innen und ihren Handlungen verstärkt den Spannungseffekt und zieht ein breites Publikum an, das nach einer Mischung aus Drama, Romantik und kontroversen Inhalten sucht. Derartige Elemente halten eine Art von Unterhaltung bereit, die, trotz moralischer Bedenken, die Aufmerksamkeit und Neugier des Publikums aufrechterhält. 

Frau sitzt mit Bikini bekleidet am Pool und hat ihre Beine im Wasser
Ganz im Sinne des „Sex sells“ sind die Teilnehmer:innen der Dating-Formate stehts knapp bekleidet. Bild: Unsplash

Raus aus der Realität, hinein ins Reality-TV

Ein weiterer Aspekt ist das, was Aristoteles in der Antike wohl „Katharsis“ genannt hätte. Durch die Darstellung echter, authentischer Gefühle, können wir mit den Teilnehmer*:innen mitfühlen. Wir nehmen an, dass es sich bei den Verhaltensweisen um reale Charaktere handelt und nicht um künstliche Figuren. Dass viele der Interaktionen „gescripted“ also nur Schauspiel sein könnten, lassen wir oft außen vor. Nichtsdestotrotz ermöglicht diese „Authentizität“ eine Empathie und teilweise auch Sympathie mit den Teilnehmer*:innen. Wir werden abgelenkt von eigenen Problemen, beziehungsweise fühlen uns weniger alleine damit, da wir sie in den Shows in vielfach dramatisierter Weise repräsentiert sehen. Plötzlich erscheint der eigene Alltag kaum mehr so schlimm. So schafft Reality-TV häufig eine Möglichkeit des Eskapismus, des Fliehens aus der Realität, indem es eine alternative Echtheit anbietet. Wir fühlen uns befreit und entlastet.

Paar steht sich gegenüber am Billiardtisch und küsst sich
Bildunterschrift: Ob Rivalitäten oder geglückte Dates- für Emotionen ist gesorgt. Bild: Unsplash

Immerhin bin ich nicht wie die

Kraftklub singen in ihrem Song ‚Schüsse in die Luft‘ von 2014 „alles ist gut, solange die auf RTL noch ’n bisschen dümmer sind als du“, und streuen damit lyrisches Salz in die guilty pleasure Wunde der Trash-TV Konsument*:innen. Wenn wir einen schlechten Tag hinter uns haben oder einfach nur ein bisschen unsicher sind, kann es helfen, einen sozialen Abwärtsvergleich vorzunehmen. 

Der soziale Abwärtsvergleich ist ein Phänomen aus der Persönlichkeitspsychologie. Es besagt, dass man versucht die eigene Leistung oder Person aufzuwerten, indem man sich mit Personen vergleicht, die subjektiv gesehen „schlechter“ sind als man selbst. Dadurch führt man sich vor Augen, dass die eigene Situation auch schlimmer sein könnte.

Durch diesen fühlen sich die Konsument*:innen den Protagonist:innen des Formates überlegen und die eigenen Probleme oder Unsicherheiten werden relativiert. Genau hier entsteht auch das „guilty“ Gefühl des Trash-TV Konsums. Wir wissen zwar, dass dieser Vergleich und die damit verbundene Abwertung moralisch falsch sind, genießen aber trotzdem die positiven Nebeneffekte für das eigene Selbstwertgefühl.

Vorsicht vor Klischees

Ein solcher Abwärtsvergleich kann besonders kritisch sein, wenn es dadurch zu generalisierenden Stereotypen kommt, welche die Trash-TV-Szene auszubeuten versteht. Gerade Formate, die beispielsweise das Leben von Sozialleistungs-Empfängern thematisieren, können das Narrativ, diese seien alle faul und würden ja sowieso nicht arbeiten wollen, verstärken und so zu Klassismus führen. Aber auch in Dating-Shows werden Charaktere durch Klischees gekennzeichnet, die rassistische, queerfeindliche oder eben klassistische Vorurteile bei Zuschauer:innen prägen oder wachsen lassen können.

Auch wenn Trash-TV also eine völlig berechtigte Art der Unterhaltung ist, sollten die Inhalte reflektiert und Stereotype nicht undurchdacht reproduziert werden. 

Wir empfehlen: Das eigene Konsumverhalten und Erleben genau unter die Lupe zu nehmen! Bild: Unsplash

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